Museen im Strudel des Erfolges

Die MOMA-Schlange 2004 rund um die Berliner Nationalgalerie

Aus der Mitte unserer regen Museumslandschaft heraus erklang jüngst ein unerhörtes Wort: Museumsschließung. Es kam von Christiane Lange, der Direktorin der Staatsgalerie Stuttgart. Angesichts immer heftiger werdender Verteilungskämpfe um die knappen finanziellen Mittel müsse man darüber nachdenken, sagt sie, ob es nicht besser wäre, einzelne kleinere Museen zu schließen, um den bedeutenden Institutionen einen größeren Spielraum zu geben. Paradoxerweise ist nun nicht ein Zuwenig, sondern ein Zuviel an der desolaten Situation schuld. Die Institution Museum droht an ihrem eigenen Erfolg zu ersticken.

Wer es damals miterlebt hat, kann sich noch gut an die Aufregung erinnern, die bei der Eröffnung des von Hans Hollein entworfenen Museums Abteiberg in Mönchengladbach die Szene ergriff. Das war anno 1982 und so etwas wie ein Fanal. Seither gab es einen Bauboom ohnegleichen: So sind in den letzten 25 Jahren in Deutschland nicht weniger als 700 neue Museen entstanden. Muss, darf das kapitalistische Prinzip des immerwährenden Wachstums auch für die Kunstwelt gelten? Frau Lange sagt: nein.

Das Museum ist heute etwas völlig anderes als vor 30, 40 Jahren. Eine Institution, die dem Sammeln, Bewahren und Erforschen einer Kunst gewidmet war, die dem Urteil von Jahrhunderten standhalten sollte, hat sich mehr und mehr der Gegenwart zugewandt und der Unterhaltungsindustrie angepasst. Die Folge: In ihrem Zwang zum Erfolg kannibalisieren sich die Institutionen gegenseitig, sie schnappen einander die Besucher, Gelder, Sponsoren und Leihgaben weg, und die geldgebende Politik schaut nur auf die Quote. Das Unbehagen darüber wächst, und wir müssen uns fragen: Haben wir das Ende einer einzigartigen Expansionsphase erreicht, stehen wir an einer Zeitenwende? Gibt es ein Rollback?

Man müsse die Museen „aus dem Gegenwartszirkus herausnehmen“, fordert Christiane Lange, und auf ihre Kernaufgaben, das Bewahren und Erforschen ihres Bestandes, zurückführen; da dieser Bestand zu 95 Prozent in den Depots lagert, wartet dort in der Tat ein wahrer Schatz darauf, für eine Vielzahl museumsimmanenter Ausstellungen ans Licht gebracht zu werden. Die jeweils aktuellste, jüngste Gegenwartskunst solle man, wie es einst üblich war, den bürgereigenen Kunstvereinen, den Ausstellungshallen und privaten Sammlern überlassen. Die Kunstwerke, die sich am Ende als museumswürdig herausmendeln werden, könnten sich die Institute dann von den Bürgern schenken lassen.

Und was ist mit den Schließungen? Da dürfe es keine Denkverbote geben, meint Lange: „Warum soll man ein Museum nicht schließen können?“ Der Museumsforscher Walter Grasskamp meint, das hätte schon viel früher geschehen müssen, er spricht gar von Konkursverschleppung. Wenn eine Stadt sich ein Haus nicht mehr leisten könne, dann müsse man es eben zusperren. Das betreffe etwa ein Drittel aller Einrichtungen. Es ist die leidvolle Erfahrung vieler neuer Museen: die Baukosten lassen sich auch in kleineren Kommunen noch aufbringen, doch die Folgekosten zwingen sie in die Knie.

Meine ganz persönliche Anmerkung: Als Kunsthändler finde ich die Sammlungstätigkeit der Museen natürlich großartig. Allerdings haben die Institute in der Regel schon seit langer Zeit keine eigenen Ankaufsetats mehr und sind auf Gelder von Stiftungen, Sponsoren und Sammlern angewiesen – um die sich auch weitere Institute bemühen. Selbst wenn einige Museen schließen und andere davon profitieren sollten: für Künstler und Vermittler ändert sich nichts, der Kuchen, den es zu verteilen gibt, ist immer viel zu klein.