ZWEIFEL auf dem Berliner Schloss – Es droht der Missbrauch von Kunst und Architektur

Es ist zum Verzweifeln. Haben wir rund um das alt-neue Berliner Schloss nicht bereits genug Diskussionen am Hals? Zur Erinnerung ein kurzer Rückblick auf die hitzigen Debatten, die Hauptstadt und Republik erregten:

Es begann mit der Frage, was aus dem asbestbefreiten, schrottreifen Stolz der DDR, dem Palast der Republik, werden sollte. Mit dessen Abriss verbunden kam die Frage: Was soll da hin? Mit dem Beschluss zur Schloss-Rekonstruktion hieß es: Was soll da rein? Dann: soll die Kuppel drauf? Und zuletzt: mit Kreuz als Krönung? Alles Fragen, die ideologisch unterfüttert sind, entsprechend aufgeheizt waren die Debatten. Zu den Streit-Themen gehört auch noch die „Wippe“, das Einheits-Denkmal, das vor der Schloss-Haustür, an der Stelle des nach ’45 entsorgten Kaiser-Wilhelm-Denkmals, errichtet werden soll.

Als wäre das alles nicht genug, kommen die Schlossherren nun mit einer neuen Idee: Auf dem flachen Fassadenabschluss an der Spreeseite wollen sie den Schriftzug ZWEIFEL installieren. Das Argument, alle Wissenschaft (die im Schloss – auch – ihren Platz haben wird) beginne mit dem Zweifel, lasse ich außen vor: mich beschäftigen zwei andere Punkte, Architektur und Kunst betreffend.

Einer der ersten, der seine Stimme gegen den Plan erhob, war Franco Stella, der Architekt der Schloss-Rekonstruktion. Ich kann ihn gut verstehen. Man mag von seinem Entwurf, insbesondere von der brutalistisch-rationalistischen Ost-Fassade, halten, was man will (ich persönlich empfinde die Ost-Seite als ein großes architektonisch-städtebauliches Unglück): Es ist ein Entwurf aus einem Guss, da ist jeder Quadratzentimeter durchkomponiert – und dieses konzentrierte Bild soll nun durch einen Dachaufsatz gestört werden, der mit Stellas Ästhetik nichts, aber auch gar nichts zu tun hat. Da kann man schon wütend werden. Wäre der Vorschlag früh genug gekommen, hätte Stella sicher einen angemessenen Platz für den ZWEIFEL gefunden.

Die Realisierung dieser Idee wäre ein weiteres Beispiel einer weltweit sich ausbreitende Unsitte. Wo auch immer die Architektur eine Leerfläche lässt, werden Riesenposter, Banner, Kunstwerke undsoweiter rauf- und reingezwängt. Beliebter Platz für derlei Missgestaltung sind weiträumige Fassaden-Partien, die der Architekt gewiss nicht nur aus Einfallslosigkeit leer gelassen hat. Ein anderer beliebter Ort sind die Interkolumnien, die Räume zwischen den Säulen älterer Museumsbauten, die mit Bannern zugehängt werden. Damit verwandeln sich die klassisch-feierlichen Tempelfassaden in Plakatwände, die lustig im Wind flattern. Und nun das Berliner Schloss: Diese wunderbar leere, riesige Dach-Fläche! Da passt doch noch was drauf! Und da haben wir doch was!

Aber es geht nicht nur um den Respekt vor einem Architekten-Entwurf, es geht auch um die Achtung der Kunst. Der norwegische Künstler Lars Ramberg entwickelte den Schriftzug ZWEIFEL zu einer bestimmten Zeit für einen bestimmten Ort: Im Jahr 2005, als der Palast der Republik in all seiner asbestbefreiten Funktionslosigkeit vor sich hin dämmerte, passte Ramberg den ZWEIFEL exakt in die Lücke zwischen Volkskammer und Festsaal ein. Die Buchstaben orientierten sich am Maßstab des Baus und verbanden sich mit ihm zu einer großartigen Einheit. Wohlgemerkt: Das war keine auf Dauer angelegte Kunst am Bau, sondern eine temporäre Installation.

Dieses Kunstwerk nun aus seinem zeitlichen und örtlichen Kontext herauszunehmen und an einem anderen Ort einzusetzen, grenzt an Bilderstürmerei. Wer käme auf die Idee, einen Kopf aus einem ruinösen Rembrandt-Gemälde zu lösen und in ein neues Bild einzusetzen?! Ein Gleiches wurde nun vorgeschlagen – von Kunst-Historikern, die sich dem Bewahren der Kultur verschrieben haben. Sollte diese Fürsorge nicht nur dem überlieferten Erbe, sondern auch der Kunst und Architektur unserer Zeit gelten?