Warum ist Vincent van Gogh so berühmt? Die Antwort scheint so selbstverständlich, dass wir uns wunderten, als diese Frage bei einem Abendessen in einer Runde von Kunstfreunden überhaupt aufkam. Über zartem Lammfilet, Ofengemüse und gefüllten Pilzen warfen wir uns die Stichworte zu. Als Erstes und Wichtigstes: Vincents Kunst ist einfach großartig. Der vibrierende Farbauftrag, die leuchtenden Ölfarben, die heiter-sonnigen Sujets: das muss einfach jeden begeistern. Zugleich sind die Werke unmittelbarer Ausdruck der Persönlichkeit des Künstlers, wir sind ihm also vor seinen Werken sehr nahe. Ganz so, als hätte er die Bilder gerade vollendet, den Pinsel an die Seite gelegt und sich auf den Weg zu uns zu einem Crème de Cassis begeben. Dann sind die Kunstwerke ein treffendes Symbol seines Zeitalters, das eben auch – immer noch – das unsere ist. Wir leben in einer eher „expressiven“ als „klassischen“ Zeit, um die alten Gegenpole zu nennen.
Schließlich entspricht van Gogh in geradezu vorbildlicher Weise dem Klischee vom unverstandenen Genie. In größter Einsamkeit hat er Meisterwerke geschaffen, die niemand kaufen, nicht einmal ansehen wollte. Die Gesellschaft hat ihn einfach missachtet. Was, logischerweise, zum tragischen Ende führen musste. Erst schneidet er sich in seiner Verzweiflung das linke Ohr ab, dann schießt er sich eine Kugel in die Brust. Das ist ein Szenario, das kein Boulevard-Blatt, nicht einmal Hollywood erfinden könnte. Apropos Hollywood: der spektakuläre Film von 1956 über das Leben und Sterben van Goghs, mit Kirk Douglas als dem zerrissenen Held, hat dem Mythos das Sahnehäubchen aufgesetzt und breitenwirksam gemacht.
Das „Geheimnis“ von Kunst und Künstlern
Von der Frage, warum ist Vincent van Gogh so berühmt, kamen wir in unserer Gesprächsrunde zum tieferen Grund für die Faszination, die von diesem Künstler ausgeht. Wir gelangten zu dem Schluss, dass es etwas mit dem „Geheimnis“ zu tun hat, das Kunst und Künstler seit jeher umgibt. Denn so schlicht rational verständlich ist Kunst ja nicht, da bleibt immer ein Rest, der nicht erklärbar ist. Darum möchte man doch zu gern wissen, was im Kopf – und Bauch – des Künstlers vor sich geht.
Und je ungewöhnlicher der Künstler ist, je mehr Angebote er macht für unsere Projektionen und Fragen, desto beliebter und berühmter wird er. Das geht bis zur Geisteskrankheit – und dass Vincent „verrückt“ war, ist ja offensichtlich. Wenn dann Künstler wie Balthus oder Magritte eher als ruhige Beamtentypen daher kommen, dann ist das Geheimnis fast noch größer. Wie kann es sein, dass dieser so „normale“ Mensch so außergewöhnliche Kunst macht? Kurz: alles dreht sich darum, dass Kunst und Künstler im Tiefsten nicht auslotbar, nicht begründbar, nicht zu fassen sind.
Mona Lisa
An diesem Punkt in unserem Tischgespräch – inzwischen waren wir beim Halbgefrorenen mit leuchtend-rotem Maraschino angelangt – überlegten wir, welche Kunstwerke über alle Maßen berühmt sind – und warum. Zwei Punkte waren uns entscheidend: Das Werk muss nicht nur in sich vollkommen sein, sondern auch den Zeitgeist beispielhaft widerspiegeln, ein perfektes Sinnbild seiner Epoche sein. Und ein Geheimnis sollte es umgeben.
An erster Stelle ist da natürlich die Mona Lisa von Leonardo da Vinci zu nennen. Das Bild ist das idealtypische Porträt der Renaissance, gleichzeitig gibt es Geheimnisse en masse. Wer ist die Dargestellt wirklich? Die Spekulationen reichen bis zu einem jungen Mann, Leonardos heimlichem Geliebten. Und: Wie hat Leonardo das bloß hinbekommen, so phantastisch feinpinselig mit der Ölfarbe umzugehen? Hat der Meister des Unvollendeten das Werk überhaupt vollendet? Und warum hat er das Bild bis zu seinem Lebensende bei sich behalten? Ein weiterer Punkt auf der Promi-Skala ist der spektakuläre Diebstahl des Bildes im Jahr 1911. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion raubte der Spiegelmacher Vincenzo Peruggia das Werk aus dem Louvre. Für das beginnende Medien-Zeitalter war dieser Vorfall natürlich ein gefundenes Fressen.
Auch der Ruhm von Kunstwerken ist vergänglich
Inzwischen stand der herrlich duftende Espresso auf dem Tisch, und so blieben wir im Italienischen – nämlich bei Raffaels Schule von Athen in den Stanzen des Vatikan. Das Wandbild ist ein schönes Beispiel dafür, dass der Ruhm von Kunstwerken auch vergänglich ist. Jahrhundertelang galt das monumentale Fresko in seiner perfekten Harmonie als das ideale Kunstwerk schlechthin, tausendfach kopiert von begierigen Kunstjüngern. Heute ist es nur noch ein beliebiger Punkt auf der To-see-Liste von Rom-Touristen. Michelangelos gewaltige Bildwelt in der Sixtinischen Kapelle beeindruckt uns weit mehr.
Raffael gegenüber steht Der Mann mit dem Goldhelm. Seit seiner Wiederentdeckung in den 1890er Jahren galt das Gemälde als ein Höhepunkt der Kunst Rembrandts, wurde als „Mona Lisa der Museumsinsel“ gerühmt – bis es in den 1970er Jahren als ein Werk aus dem Umkreis des Meisters identifiziert wurde. Seitdem ist aller Glanz, aller Ruhm verflogen, das Bild scheint nur noch aus Unvollkommenheiten zu bestehen. Ein wenig bekümmert hängt der einst so stolze alte Mann in einer kleinen Ecke der Gemäldegalerie.
Erfüllt vom reichen, beglückenden Mahl und voller Genugtuung über unsere tiefsinnigen Gedanken verabschiedeten wir uns von unserer charmanten Gastgeberin – fest entschlossen, das Gespräch über Ruhm und Vergänglichkeit von Kunstwerken fortzuführen.
Tipps
Die größten Sammlungen mit Werken van Goghs finden Sie in den Niederlanden, im Van Gogh Museum Amsterdam und im Museum Kröller Müller in Otterlo.
Leonardo starb im Château du Cloux in Amboise, einem der Loire-Schlösser, in den Armen seines Patrons König Franz I. Neben sich hatte er die Mona Lisa. Durch den König gelangte das Bild schließlich in den Louvre.
Der Mann mit dem Goldhelm wurde 1897 für die Berliner Gemäldegalerie angekauft. Die Provenienz des Gemäldes war bisher unbekannt; mir ist es gelungen, das Werk bis in das 18. Jahrhundert zurückzuverfolgen. Doch darüber mehr in einem späteren Blog.
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